Vea Kaiser: Fabula Rasa

Wienerisch, lustig und herzerwärmend

Ich kann das Meidlinger L nicht akzentfrei intonieren und hab noch nie in Wien „Gebackene Fledermaus“ gegessen. Aber rote Spritzer hab ich in meinem Leben schon mehrere getrunken. Mit Sicherheit nicht so viele wie die Protagonistin des Romans Angelika Moser, deren Leibspeise dieses schnitzelartige Stück Fleisch ist. Von ihr berichtet die Erzählerin des sehr lustigen Romans. Merkwürdigerweise scheint sie sehr viel Ähnlichkeit mit der Autorin Vea Kaiser zu haben.

Diese Erzählerin besucht ihre Hauptfigur immer wieder im Gefängnis und lässt sich deren Lebensgeschichte erzählen, um daraus einen Roman zu schreiben. Das ist ihr bzw. der Autorin ausgezeichnet gelungen. So leichtfüßig und witzig kommt die Geschichte daher, dass man nicht aufhören kann, bevor man die 556 Seiten verschlungen hat.

Die haben es aber auch in sich. Angelika mausert sich vom „Hausmeisterbankert“ im Gemeindebau zur Inhaberin einer Villa im Cottageviertel und bleibt trotzdem sympathisch. Eine Frau, die sich das Geld nimmt, das man ihr nicht freiwillig zugesteht. Immer wieder mal mit Gewissensbissen, Bauchschmerzen, Schlaflosigkeit als Folge. Aber: Alle „geborgten“ Summen hat sie im Filofax ordentlich buchhalterisch verzeichnet, für spätere Rückgabe.

Die Geschichte spielt in einem fiktiven Wiener Grandhotel, nicht weit von der Staatsoper. Von den 80er Jahren bis heute. Der alte Hotelier bittet seine fähigste Buchhalterin, aus dubiosen Gründen alte Bilanzen zu „verschlechtern“. Und weil das so gut gegangen ist und es eh niemand merkt, schafft sie sich selbst noch „ein bisschen“ Geld auf die Seite. Notwehr sozusagen. Schließlich muss sie ihr Kind aufziehen, die demente Mutter versorgen, Sanierungskosten für ihre „Garconnière“ mit Außenklo und Gemeinschafts-Telefonanschluss berappen.

Unglaubliche Plot-Twists reißen Angelikas Schicksal voran. Man sieht sie im legendären Club U4 (in dem Konzerte stattfinden durften, aber Tanzen nicht erlaubt war), beim Absturz mit der Freundin beim „Branntweiner“, mit Herzweh und rotem Spritzer im Kaffeehaus oder im Beisl, im vornehmen Ambiente des Luxushotels, beim Opernball, am Würstelstand vor der Albertina und im Gemeindebau bei ihrer rabiaten Hausmeister-Mutter.

Ein Panorama der Wiener Gesellschaft: frisch, leicht, tragikomisch, mit Herz und bösem Witz.

Was will man auch anderes erwarten von der Autorin, die im „Rückwärtswalzer“ (2019) schon bewiesen hat, dass man eine Leiche äußerst unterhaltsam von Wien-Liesing nach Montenegro transportieren kann.

Lesen!

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar an http://www.kiwi-verlag.de.

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