Magdaléna Platzová: Leben nach Kafka

Sie hieß Felice Marasse, lebte in Berlin, Genf, Kalifornien und New York. Viel besser bekannt ist sie unter dem Namen Felice Bauer (1887-1960). Zweimal war sie mit Franz Kafka verlobt. Hunderte Briefe gingen während der fünfjährigen Beziehung zwischen Prag und Berlin hin und her. Ihre Briefe an Kafka gibt es nicht mehr, seine sind weltberühmt. In der Sekundärliteratur liest man, er habe ihre Briefe vernichtet. Vielleicht war es aber ganz anders. Vielleicht erbat sie ihre Briefe zurück. Das kann sich die Autorin des außergewöhnlichen biographischen Romans „Leben nach Kafka“ jedenfalls vorstellen.

Die Briefe verbinden die Figuren der Romans miteinander. Im Mittelpunkt stehen Felice, ihr Ehemann Robert (in Wirklichkeit Moritz), die beiden Kinder. Daneben gibt es die Freundin Grete Bloch, Kafkas Freund Max Brod, den Schriftsteller Ernst Weiß, den Verleger Salman Schocken und einen mysteriösen angeblichen Sohn Kafkas aus einer Liebschaft mit Grete Bloch. „Das Gift dieser Briefe“, heißt es öfters. Die Vergangenheit lässt sie auch im Exil nicht los.

„Ein brauner Pappkarton mit dem Bat’a-Schriftzug, mit einer Schnur umwickelt […] Der süßliche Geruch von altem Papier. Die Briefe lagen in ihren Umschlägen, sorgfältig nach Empfangsdatum geordnet und mit grünen Schleifen zusammengebunden. […] Nie hatte sie daran gezweifelt, dass sie die Briefe irgendwann würde vernichten müssen. […] Warum hatte sie sie überall mit sich herumgeschleppt? Was, wenn sie heute oder morgen sterben würde? Die ganze Schachtel nehmen und wegwerfen, so, wie sie ist, das sollte sie tun. Unbeweglich sitzt Felice auf Roberts Bett und fällt ins Bodenlose. Meine liebste Felice, mein liebstes Mädchen, arme, liebste F.“

Der Sohn erfährt erst spät, dass seine Mutter einst mit dem berühmten Schriftsteller liiert war. Und das auch nicht von ihr selbst. Er soll sie überreden, die Briefe zu verkaufen, nachdem sie sich zuvor schon dagegen verwehrt hatte. Platzová lässt ihn einen wütenden Brief an Elias Canetti schreiben, der seiner Mutter nach dem Verkauf Geldgier unterstellt hat:

„Allein daran, wie sie an seinen Briefen festhielt, kann man aber sehen, dass das Ganze für sie nicht abgeschlossen war. Dass diese unglücklichen fünf Jahre ihr weiteres Leben ganz wesentlich geprägt haben.“

8000 Dollar hat sie letztendlich bekommen. Bald dringend gebraucht für die medizinische Behandlung nach mehreren Schlaganfällen. Nach dem Tod des Verlegers Schocken verkauften seine Erben die Manuskripte entgegen den Verträgen bei Sotheby’s für 605 000 Dollar. Vielleicht hat sie ja ein paar Briefe für sich zurückbehalten. Die Autorin legt es dem Sohn so in den Mund.

Platzová schreibt keinen herkömmlichen historischen Roman. Sie stellt zwar reale Figuren in einen fiktionalen Kontext, erfindet Szenen wie man es aus anderen biographischen Romanen kennt. Was den Roman aber zu einem besonderen Lese-Erlebnis macht, ist die bemerkenswerte Erzählweise. Die Autorin verwendet immer wieder Originalzitate (abgesetzt durch Kursivschrift) und lässt die Leser an ihren persönlichen Erlebnissen mit der Familie Marasse und an ihren Recherchen zum Roman teilhaben. Und das ist ebenso spannend wie die Lebensgeschichte der Felice Bauer „nach Kafka“.

Es ist die Geschichte einer emanzipierten jüdischen Frau kleinbürgerlicher Herkunft, die sich in einer Zeit, in der es für Frauen fast unmöglich erschien, mit eigener Arbeit Karriere zu machen, bis zur Prokuristin einer Firma brachte. Sie heiratete einen Bankier, bekam zwei Kinder. Nach der Flucht aus Deutschland lebte sie zunächst in der Schweiz, dann in Los Angeles. Sie pflegte ihren schon bald mittellosen kranken Mann und verdiente mit einem Schönheitssalon, später mit einem Handarbeitsladen das Geld zum Überleben. Ein heimatloses Leben im Exil. Auch für ihren Sohn, der zwar in Amerika Karriere machte, aber nicht heimisch wurde – wie so viele.

Aus dem Tschechischen übersetzt von Kathrin Janka. Erschienen im Balaena Verlag.

Auf der Empfehlungsliste „Bayerns beste Independent Bücher 2025“ (Auszeichnung des Freistaats Bayern für herausragende Neuerscheinungen unabhängiger Verlage)

Kleine Nachbemerkung am Rande: Schade, dass der Text im Korrektorat nicht ganz sorgfältig gelesen wurde.

Hintergrundbilder: Wikipedia

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