Dass die Manns eine hochgradig dysfunktionale Familie waren, ist bekannt. Florian Illies zeichnet das mal ironisch bewertend, mal mitfühlend nach. Stellenweise versteigt er sich ein wenig, dann wird’s kitschig (die Münchner Villa im Frühling) oder (im Fall von Monika Mann) fast ein bisschen herablassend.
Besonders deutlich tritt das enge, aber vielfach ungesunde Beziehungsgeflecht der Familie in der Ausnahmesituation der Machtergreifung, der Zeit zwischen Februar und September 1933 hervor. Illies nennt die Familie eine „Kältekammer“. Thomas Mann diagnostiziert im Tagebuch: „Wir sind eine erlauchte Versammlung – aber einen Knacks hat jeder.“ Eher eine Tragödie als eine Komödie, die da aufgeführt wird. Immerhin: Alle überleben. Aber Illies meint: „Wer eine Tragödie überlebt, kann nicht ihr Held gewesen sein.“ Der „Zauberer“ war auf jeden Fall keiner damals.
Wichtige Nebenfiguren im Drama: Bruder Heinrich Mann und seine so „unstandesgemäße“ Nelly, die Großeltern Pringsheim, die Feuchtwangers, die Huxleys, die Arnold Zweigs, Bertolt Brecht, Hermann Hesse und anderes illustres Personal.
Thomas Mann ist nach einem Vortrag über Richard Wagner in Paris mit Katia in die Schweiz gefahren. Aus dem Erholungsurlaub dort wird die erste Station des Exils, denn in Deutschland sind sie nicht mehr sicher. Thomas Mann will aber kein Emigrant sein, er möchte zurück nach München. Er ist schließlich Nobelpreisträger, repräsentiert die deutsche Kultur. Seine erwachsenen Kinder warnen ihn jedoch, sehen die Katastrophe im Gegensatz zu ihm deutlich.
Ab April hat er keinen gültigen Pass mehr, im Ausland kann er ihn auch nicht verlängern. Im April wird er aus dem Rotary Club München ausgeschlossen, laut Illies ein Kipppunkt für Mann. Die schlimmste Kränkung: Ausgerechnet ihm, dem glühenden Verehrer Richard Wagners, wird in Nazi-Deutschland Verrat an der Ikone vorgeworfen. Die schlimmste Befürchtung: Die Nazis könnten in den Besitz seiner Tagebücher kommen, die in der Münchner Villa lagern. Außerdem ziemlich unschön: dass es im Zug zur nächsten Exilstation in Südfrankreich keinen Speisewagen gibt: „Eine schlimme Behagensminderung“. Natürlich eine Einladung für den Ironiker Illies: „Behagensminderung. Sicher ganz weit vorn bei der Wahl zum Wort des Jahres 1933.“
In Sanary und Umgebung trifft sich die Kultur, nicht nur die exilierte deutsche. Feuchtwangers haben sich eine Villa gemietet. Man besucht sich zu Lesungen und Abendeinladungen. Liebschaften wechseln ständig. Thomas Mann ist unschlüssig, wo er sich endgültig niederlassen soll. Die Hoffnung auf schnelle Rückkehr hat er irgendwann aufgegeben. Allerdings möchte er nicht ganz mit dem Vaterland brechen. Schließlich soll ja sein Josephsroman noch dort erscheinen. Um das möglich zu machen, verrät er sogar seinen Sohn Klaus. Der hatte in seiner streitbaren Exilzeitschrift einen Beitrag seines Vaters angekündigt. Auf Druck des Verlegers tritt Thomas Mann von seiner Zusage zurück. Außerdem möchte er eigentlich mit den linken Exilanten nichts zu tun haben. Große Verunsicherung. Angst vor der Zukunft.
Die Kinder buhlen weiter um Anerkennung und um Aufmerksamkeit. Golo tritt etwas aus dem Schatten und kann sich in den Augen des Vaters endlich dadurch auszeichnen, dass er Tagebücher und Bargeld über die Grenze schafft. Die kleine Elisabeth braucht für die Liebe des Vaters nichts zu tun. In der Poschinger-Villa in München steht ausschließlich ihre Büste im Arbeitszimmer, dazu drei Fotos von ihr. Von den anderen nichts. Sie ist auch die einzige, die unbeschadet aus der Familie heraustritt. Der Jüngste, Michael, das ungeliebte Kind, versucht sich durch stundenlanges Geigenspiel Pluspunkte zu holen. Vergeblich. Besonders erschütternd: die Darstellung der Mann’schen Mittagessen – zuhause und im Exil: „Fehlen die beiden Großen jedoch, dann bereitet sich Golo auf das Essen manchmal wie auf eine regelrechte Prüfung vor, auf einem Zettel notiert er Themen, die den Vater interessieren könnten. Michael gesteht ihm irgendwann, dass er es genauso macht.“ Monika versteckt sich hinter ihren Locken und isst hinterher in der Küche.
Im September geht es zurück in die Schweiz, zur nächsten Station des Exils.
Im letzten Kapitel des Buches gibt es einen Anhang über das Danach der Orte und Personen.
Florian Illies erfreut mit so schönen Wendungen wie etwa dem „Windelweichtum“, mit dem er die Aktionen des Rotary Clubs charakterisiert oder mit originellen Vergleichen: Aldous Huxleys Brillengläser seien „so dick wie Butterbrote“. Er ist immer gut für Bonmots („Wenn nichts mehr hilft, hilft in dieser Familie wenigstens der Hochmut.“) oder Kalauer (z. B. über Freundin Sybille, die „nun ja, sibyllinisch“ lächelt). Manchmal ist mir die Sprache aber auch zu schnoddrig, z. B. wenn es um die Ehe der Hesses geht: „Eine Ehe also mit Tempolimit und verkehrsberuhigter Zone.“
Insgesamt ein anschaulicher Geschichtsunterricht um ein verstörendes Familiendrama. Spannende Lektüre.
Hintergrundbild: Thomas Mann in Sanary-sur-Mer 1933 (Wikimedia Commons)

Hinterlasse eine Antwort zu Johanna Berger Antwort abbrechen